Die Wahrheit über das Pinkeln im Sitzen

 
     
  PARTY-PINKELN

Schopenhauer, der Optimist unter den Philosophen, sagt, je kleiner der Anlass eines Unglücks, desto glücklicher der Mensch, "weil ein Zustand des Wohlbefindens dazugehört, gegen Kleinigkeiten empfindlich zu sein."

Demnach müsste es uns hervorragend gehen, schließlich scheint unser größtes Problem zu sein, welche Belanglosigkeiten wir uns zum Aufregen aussuchen. So auch zuletzt auf einer Party, wo Small Talk in Reinform betrieben wurde. Die meisten Partygäste entstammten dem Selbstverwirklichungsmilieu - Mediziner, Psychologen, Künstler - und das ist bekanntlich verklemmt: Anstatt sich nach potentiellen Sexualpartnern umzuschauen, wie das früher wohl mal bei Feten gewesen sein soll, beginnen die Frauen, jeden männlichen Vertreter der Zunft zu fragen:

"Pinkelst du im Sitzen oder im Stehen?"

Da heißt es, seinen Stand- bzw. Sitzpunkt deutlich zu markieren! Die meisten sind tatsächlich so drauf, im Sitzen zu urinieren, Domestiken! Ich sag: "Irgendwas stimmt da doch nicht: Die Deutschen wollen eins der mächtigsten Völker der Erde sein, aber lassen sich zu Hause zwingen, im Sitzen zu pinkeln. Da lacht der Serbe sich doch kaputt!"

Schüchtern amüsierte Blicke einiger Geschlechtsgenossen, mörderische Blitze aus der Damenabteilung. "Du pinkelst doch nicht etwa im Stehen", faucht Carola, empört und doch auch freudig erregt, ein Opfer gefunden zu haben. Übrigens frisch verheiratet. Ihr Mann natürlich einer der Domestiken. Sein Blick an eine Bodenfliese geheftet. "Natürlich", antworte ich. "Warum soll ich mich denn hinsetzen?" "Wie? Und deine Freundin putzt dir hinterher?"

Buhrufe, vereinzelt auch von Kerlen. "Nee", sag ich, "wir wechseln uns ab. Einmal putze ich, einmal sie."

"So was von Neandertaler!" Carola spuckt aus. "Tut mir leid", kommt es von Almut, einer sonst eher vernünftigen Magd.

"Wenn das so ist, kann ich dich leider nicht, wie verabredet, mit nach Hause nehmen."

"Moment mal", versuche ich das Schlimmste zu vermeiden. "Jeder soll so pinkeln dürfen, wie er will! Wer putzt denn bei euch, Carola?"

"Wir haben eine Putzfrau." "Aha", sag ich. "Da kommen wir der Sache doch schon näher. Ist eure Putzfrau zufällig Polin?" "Zufällig ja. Aber was hat das Sitzendpinkeln damit zu tun?" Carola wollte eigentlich nur darauf hinweisen, dass man sich eine Putzfrau leisten kann und trotzdem im Sitzen uriniert, ist das nicht eine sehr polenfreundliche Behandlung? "Früher putzte die polnische Fremdarbeiterin, heute die polnische Schwarzarbeiterin."

"Hey, wenn die 'n halbes Jahr hier putzt, kann die die andere Hälfte in Polen 'n prima Leben führen. Also, jetzt hört's aber auf. "

"Ha!" Ich sag: "Jetzt geht's erst richtig los! Die Diskussion um das Pinkeln im Sitzen oder im Stehen ist doch eine typisch deutsche Diskussion, als direkte Folge von Auschwitz zu betrachten."

Dies geht natürlich doch über den Horizont der anwesenden Akademiker, was sich unter anderem an dem so passenden wie sachlichen Einwurf zeigt, Stehendpinkler würden einer US-Studie zufolge auch häufiger zum Kindesmissbrauch neigen, was klar sei, da in den USA alle Männer Stehendpinkler seien.

Aber ich weiter: "Der Deutsche hat sich zwölf Jahre als Herrenmensch aufgeführt, wurde aber hinterher nicht für seine Verbrechen bestraft, sondern mit dem Marshallplan belohnt. (Entschuldigen Sie die Fixierung auf Westdeutschland, aber wie sollte man Medizinern, Psychologen etc. das auch noch gesamtdeutsch erklären?) Bis heute keine Strafe, keine echte Buße, und im Innern nach wie vor mit der Herrenmenschenattitüde rumlaufend. Da das aber momentan nicht gut kommt, versucht der Deutsche seit '45 mit dem gleichen Fanatismus, mit dem er den Nazi gegeben hat, jetzt den Musterdemokraten darzustellen. Anstatt über den Nazi in uns zu diskutieren, versucht man, durch die Diskussion darüber, ob der stehend pinkelnde Mann schon zur Gattung des Homo-Sapiens oder noch zu der des Primaten zu zählen ist, die Maske des Gutmenschen über die Fratze der Bestie zu stülpen, was aber nur teilweise gelingt, denn wer einmal die von Abscheu verzerrten Züge einer über einen im Stehen pinkelnden Mann schwadronierenden Frau gesehen hat, der ahnt, dass der Unterschied zwischen Gutmensch und Herrenmensch nur ein gradueller ist."

Alles guckt auf Carola. Irgend jemand flüstert: "Stimmt!"

Ich sag: "Nicht wahr, Carola?"

Deren Gesicht hätten Sie sehen müssen. Ich sag: "Weißt du, jetzt guckst du so, wie deine Oma wahrscheinlich geguckt hat, nachdem sie sich zum ersten Mal einem schwarzen, amerikanischen Soldaten hingeben musste, um an ein paar Kaugummis zu kommen."

Na ja, der Rest des Abends ist dann nicht so gut für mich gelaufen. Erst die Schlägerei mit Carolas Mann, die ich natürlich gewann, ich bitte Sie, ein Domestik! Dann stand ich 'ne Stunde lang ziemlich einsam am Fässchen rum, bis sich der Freund von Almut neben mich stellte und beichtete: "Du, ich mach's meistens ja auch im Stehen, aber Almut darf das nicht mitkriegen.

Da war dann natürlich 'ne Beziehungskiste fällig, als ich der Almut das gesteckt habe. Na ja, am Schluss wollte mich der bestellte Taxifahrer nicht mitnehmen, weil das Bier, das die anderen mir übergeschüttet hatten, so gerochen hat.

Als ich im Morgengrauen in meine Straße einbog, dachte ich mir - alkoholbedingter Übermut - "wat soll et? Sieht dich ja keiner, probier's einfach mal aus", hockte mich in einen Vorgarten und ließ mein Wässerchen ab.

In dem Moment sah mich der Türke, der gerade seinen Kiosk öffnete. Der lachte sich natürlich kaputt: "Ah, ihre Deutse, inne Sitze pinkele! Weißt du, Freundse, mit solse Männer Deutseland wird niemals wiedere Fußballweltmeistere!" Da hat er recht, und mir fiel die alte Volksweisheit ein:

"Besser ist meistens das Gegenteil von gut!"

Auch von Schopenhauer?